Wärme und Schlaf

Die Bilder verschwimmen, sie rutschen mir weg
Ich rutsche mit ihnen ins Bilderversteck
Wo farbenfroh nachhallt, was irgendwann war
Und auch was nie sein kann, ist in Schemen da

Ich leg mich ins Schweben, ich schenk mich der Nacht
Aber ob sie mich will, hat sie niemand gefragt
Gebettet in Schwere, die Tiefe ist seicht
Die Blumen verwelken, das Fallen fällt so leicht

Sekunden sind Stunden, Wochen, Monate, Jahre
Von weit her verschifft als fragile Zeitware
Nur ich darf sie sichten, die anderen nicht
Im Gegenteilspiel erblickt die Welt mein Licht

Wir sind doch nur Punkte, von oben besehen
Die auf Ameisenstraßen ihre Umwege gehen
Winzige Sonnen, die warnen und zieren
Sich auf Leuchttürme wagen, versuchen und irren

Vor und nach der Stille sind wir ein bisschen laut
Dass wir so verzweifelt strampeln, hat uns keiner zugetraut
Der kleinste Brocken Leben wie Obst ausgepresst
Bis der letzte Tropfen die Lippen benetzt

Von gestrandeten Seelen löst sich der mattende Schmutz
Kein Verweilen im Jammer, wir hauen auf den Putz
Und alle sind gekommen, und niemand, der hier fehlt
Es taugt zum Vulkan, was unter Oberflächen schwelt

Ein echtes Gelage, ein rauschendes Fest
Kein Gast, der sich das entgangen sein lässt
Girlanden und Lampions und Kuchen und Wein
Und Tanz ohne Richtung im mondsatten Schein

Bis die Geräte übersteuern und pfeifen und jaulen
Sollen doch die Nachbarn im Nachbarsfrust maulen
Aber wir sind das Neue, wir sind taub für Beschwerden
Das Gelände nicht befugt, von uns betreten zu werden

Alle stellen sich dumm und dümmer als sie sind
In verschwommenen Bildern lieber taub als blind
Durch beregnete Fenster schau ich Leuten zu
Unter all den Ungezählten bist vielleicht auch du

Ein erinnerter Blick, der ein Aufmerken ist
Etwas nie Gesehenes, das man stur vermisst
Wie das Ringelspielkreisen unseren Schwindel vermehrt
Und das ungelebte Leben uns Phantomschmerz beschert

Den Praterschaustellern beim Schmähführen zu lauschen
Sich am hohen Kreischen der Kinder berauschen
Ich mag, wie du lachst, und ich koste es aus
Wir bleiben, nein, wir gehen noch nicht nach Haus’

Ich schieß dir Plastikrosen, zieh aus ledernen Köchern
Einwegpfeile, die meine Zielscheibe löchern
Zum Photostand, gut besucht von Paaren
Die lichten uns ab wie vor hundert Jahren

Es wird kalt und kälter, aber mir ist heiß
Wir gönnen uns jetzt noch ein Mitternachtseis
Das die Chefin persönlich im Eilschritt serviert
Es widerstrebt der Zeit, dass man sie verliert

Sanft wankt die Riesenradgondel im Takt
Die Hauptstadt entblößt sich, liegt vor uns wie nackt
Zeigt ihre Wunden und Zentren der Macht
Wer hat den Wienern ihr Wien beigebracht

Endzeitlich wachsen die Trümmer ins Grau
Übersättigt mit Braun, das sich ausgibt als Blau
Wir schrauben uns hoch, dass es höher nicht geht
Auf die Zwölf, wie ein Zeiger, der zeigt, was es schlägt

Wie es uns entsichert, wie du dich enthemmst
Wie ein Auto sich im tiefen Kies verbremst
Alles verflüchtigt sich, alles wirkt wie nicht echt
Es ist vier Uhr früh und manches ungerecht

So viele Worte, so viel gesagt
Und im ewigen Reden das Machen vertagt
Mich ruft der Mann mit Hut, den noch jeder traf
Hast du gewusst, du riechst nach Wärme und Schlaf

Ich fließe mit dem Fluss zurück zum Start
Umweht vom gnädigen Wind, der unsere Spuren verscharrt
Ich kenne die Stimmen, sie leiten mich an
Singen Heimweghymnen, so laut man kann

Ich lösche meinen Namen aus dem Buch, das ich schreibe
Ich streiche meine Mitte aus dem Kreis, den ich zeichne
Ich hab schon lang nicht mehr von mir geträumt
Ich glaub, ich bin von mir geheilt